Autohäuser als Multiplikatoren für Zukunftsmobilität
25. September 2017
Verantwortung und Verkehr
6. März 2018

Die Verantwortung des Mittelstandes für die Verkehrswende

Am Beginn des 21. Jahrhunderts leben wir in sich rasant erneuernden Zeiten. Nichts illustriert diese Beschleunigung besser, als der Siegeszug des Wortes „Wende“. Stand der Begriff 1989 noch für ein überraschendes – ganz und gar ungesteuertes Ereignis, drückt es heute die großen Herausforderungen aus, denen wir uns in globalisierter Perspektive widmen müssen. Zu aller erst denken wir dabei gar nicht an die – hier im Mittelpunkt stehende – „Verkehrswende“ oder gar an die „Agrarwende“, welche ein noch größeres mediales Nischendasein fristet. Den meisten Menschen kommt mit dem Denken an Wenden inzwischen die „Energiewende“ in den Sinn.

Als German Energiewende hat dieses gesellschaftliche Umbauvorhaben weltweite Aufmerksamkeit erlangt, getreu dem Motto: Die fleißigen Deutschen werden es schon richten. Auf der anderen Seite schreibt die Digitalisierung den Code unseres gesellschaftlichen Miteinanders schneller um, als jede bewusst gesteuerte Kehrtwendung je imstande wäre. Unser aller Leben wird von den Füßen auf den Kopf gestellt … ein Prozess der so rasend schnell vonstattengeht, dass es schwer fällt ihn bewusst zu reflektieren, geschweige denn politisch zu gestalten. Dabei geht es sowohl um multiple Dimensionen unseres privaten Lebens (Reorganisation von Freundeskreisen in sozialen Medien, Bewertungsportale, u. a.), als auch die politischen Sphäre (neue Formen des Wahlkampfs bspw. als Crowd Funding-Initiativen) und natürlich die Wirtschaft (Sharing Economy, App Stores, u. a.).

Natürlich verändert sich in diesen turbulenten Zeiten auch unsere Arbeitsweise und Managementkultur. Nicht immer zum Guten. Sie ist immer häufiger von kurzfristigen Nutzenerwartungen und dem Ziel der schnellen Gewinnmaximierung geprägt. Manche behaupten, das Zusammenwirken von Digitalisierung und Kapitalismus führt zurück zu den Anfängen der Industrialisierung in eine Zeit entwerteter sozialer Sicherungssysteme – der digitalisierte Marktplatz als Sweatshop im neuen Gewand. Egal wie man sich zu diesen großen Linien unseres wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Zusammenlebens am Beginn des 21. Jahrhunderts verhält – mit der Perspektive des wirtschaftsethisch geschulten Mittelständlers in zweiter Generation wird eines schnell deutlich:

Das langfristige Denken eines generationenübergreifenden Unternehmertums verliert in vielen Bereichen unseres Wirtschaftslebens zunehmend an Bedeutung. Wo über Jahrhunderte eine dauerhafte Mitarbeiterbindung und der Charakter des Inhaberunternehmers die Grundzüge wirtschaftlichen Handelns prägten, definieren heute immer öfter Quartalsberichte, Lean Management-Anforderungen und die Verfügbarkeitsversprechen von Zeitarbeitsagenturen den Wirtschaftsprozess. Sicher, diese bewusste Gegenüberstellung vermeintlich unvereinbarer Ökonomiemodelle entspricht nicht immer der Realität – unsere politisch aufgewühlten Zeiten geben aber Anlass, über die Rolle des Mittelstands in Fragen sozialer (und ökologischer) Nachhaltigkeit nachzudenken.

Zunächst fällt auf, dass viele Kommentatoren, Phänomene wie Trump, den Brexit oder den Klimawandel häufig mit einer entfesselten Globalisierung und (finanz-) wirtschaftlichen Enthemmung zu erklären versuchen. Zugleich werden wir gerade auch in Deutschland Zeuge eines seltsamen Schweigens der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Warum sprechen die vielen Millionen Inhaberunternehmer nicht viel lauter über die Chancen (und Risiken) Ihrer nicht selten sozialökologisch verantwortlichen Wertschöpfungsprozesse? Muss wirklich erst ein Milliardär aus dem Silicon Valley damit beginnen, Schnellladesäulen an den deutschen Autobahnen einzurichten, um Elektroautos attraktiv zu machen oder wäre das nicht eine klassische Aufgabe für die Hidden Champions aus den landläufigen Regionen Deutschlands?

Schnell stellt sich bei diesen Überlegungen die Vermutung ein, eine falsch verstandene, generationenlang antrainierte höfliche Zurückhaltung könnte der Grund für diese öffentliche Selbstbeschränkung sein. Die bewusst wahrgenommene Verantwortung für Mitarbeiter, Kunden und den Wertschöpfungsprozess darf sich in deutschen KMU’s jedoch nicht nur im stillen Kämmerlein ereignen!

Im Fachdiskurs wird vom Stakeholder-Prinzip gesprochen: Anstatt die (mutmaßliche Wertsteigerung der) Anteile der Unternehmenseigentümer in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stellen (Shareholder-Prinzip), geht es beim Stakeholder-Ansatz um die bewusste Rücksichtnehmen auf die Interessen verschiedenster Anspruchsgruppen. Vieles spricht dafür, dass eine solche Arbeitsweise in einer immer unübersichtlicheren Welt zum (vielleicht) entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden könnte. Warum dann nicht offen darüber sprechen? Stattdessen sind so viele öffentlich sichtbare Nachhaltigkeitsinitiativen der Wirtschaft in der Sphäre multinationaler Konzerne zu finden: Wird in vielen börsennotierten Großunternehmen vielleicht mehr Green Washing betrieben, wohingegen die wirklich verantwortungsvollen Akteure, zuhause gleich hinter der nächsten Dorfkreuzung, ihre Arbeitsweise einfach nicht an die große Glocke hängen wollen?

Handwerksbetrieb des Autors im Jahr 1982 (ehem. DDR)

Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang ein Beispiel aus dem Handwerk anführen: Ist es in Zeiten, in denen längst beerdigt geglaubte Nationalismen neue Macht gewinnen, für einen Zehn-Mann-Handwerksbetrieb ausreichend, seine Verantwortung als Corporate Citizen einfach nur still in Form einer hohen Ausbildungsquote auszudrücken? Wäre es nicht vielmehr gegeben, die örtliche Handwerkskammer dazu anzuhalten, ihre alljährliche Belobigung des vorbildlichen Ausbildungsbetriebs dazu zu nutzen, das zehntausendfache Engagement deutscher Handwerksmeister in der Flüchtlingsausbildung deutschlandweit bekannt zu machen? Welche Rolle könnte dabei ein Multiplikator wie der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) spielen?

Soziale Nachhaltigkeitsstrategien lassen sich wiederum nur schwer von deren ökologischer Dimension trennen. Warum startenen die vielen hunderttausend Zulieferbetriebe, Werkstätten und Autohäuser, die in ihrer Gesamtheit als „Automobilsektor“ das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bilden, nicht endlich eine beherzten Kampagne für multimodale Mobilitätskonzepte? Sicher – da sind viele Ängste im Spiel, das eigene Geschäftsmodell (mit) abzuschaffen. Gleichwohl wird es in weniger als einer Dekade wahrscheinlich nur noch sehr wenige Fahrzeug-Neuzulassung mit Verbrennungsmotor geben. Warum also nicht jetzt aktiv werden?

Als Antwort ist festzuhalten, dass Inhaberunternehmer seit jeher eine seltsame Inaktivität an den Tag legen, vielleicht sogar scheu und zurückhaltend auftreten, wenn es darum geht, über die grundlegenden Werte des eigenen Unternehmertums zu sprechen. Hat das nur mit Nicht-Reflektion zu tun? Nicht unwahrscheinlich vielmehr anzunehmen und dem Autor dieser Zeilen während seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeitsphase wiederholt aufgefallen, dass viele Eigentümer im deutschen Mittelstand genauso wie Führungskräfte in Wohlfahrtsverbänden in der Überzeugung handeln, unwiderruflich auf der Seite der Guten zu stehen. Wo aber in einer Zeit medialen Dauerfeuers, ein moralisch noch so gut aufgestellter Akteur, nur nach dem Grundsatz handelt: „Wir sind die Guten und müssen nicht darüber sprechen“, besteht die reale Gefahr im Sturm der Aufmerksamkeitsspirale unterzugehen.

Könnte es vielleicht sogar einen Kipppunkt geben, ab dem die fehlende Bekanntheit unserer wirtschaftsethischen Überzeugungen und unseres verantwortungsgeleiteten Handelns zum Scheitern der sozialen Marktwirtschaft insgesamt führt?

Wenn es einen solchen Punkt ohne Wiederkehr geben sollte, wäre dem deutschen Mittelstand dringend anzuraten, stärker über die eigenen Geschäftsprinzipien Auskunft zu geben. In einer der letzten Ausgaben des CSR-Magazins berichtet Martin Priebe in diesem Zusammenhang über das bemerkenswerte Engagement einiger Mittelständler in Baden-Württemberg. Mit der Heilbronner Erklärung“ treten diese Inhaber-Pioniere einen entscheidenden Schritt von ihrem täglichen Unternehmerhandeln zurück, um in einem Manifest ihre Werte niederzuschreiben. Damit überschreiten sie den entscheidenden Schritt zwischen Marktplatz und Rathaus.

Diese Eigentümer verlassen für einen Moment der Reflektion die Logik des eigenen Unternehmertums, um vor dem Spiegel gemeinwohlrelevanter Erwägungen die handlungsleitenden Grundsätze Ihres Wertschöpfungsprozesses transparent zu machen. Genau von diesen gar nicht unbedingt lauten aber dafür umso deutlicheren Bekenntnissen zum „guten“ Unternehmertum braucht es in Zeiten von Fremdenhass und Lügenpresse-Vorwürfen viele mehr! Als Mittelständler in zweiter Generation mit Verantwortung für Mitarbeiter in zwei Betrieben darf der Autor aus vollem Herzen aber auch aus Erfahrung sagen: Wir verantwortungsbewussten Inhaberunternehmer sind die Mehrheit. Leider schweigen wir. Immer noch!

Darum erhebe ich in diesem Blog ab jetzt meine Stimme.

Als ausgebildeter Politikwissenschaftler erachte ich es als meine Pflicht, nicht nur den Generationswechsel in unseren Berliner Kfz-Meisterbetrieben aktiv zu gestalten. Genauso wichtig ist es für mich, diese Insiderperspektive zu nutzen, kritisch hinter die wenig auf Dauer gestellten Kulissen unserer Branche zu schauen. Und wenn sich dabei die eine oder andere Erkenntnis über den deutschen Mittelstand insgesamt einstellen sollte, wäre ich nicht abgeneigt auch darüber zu bloggen.

Quelle: Dieser Artikel erschien in leicht abgewandelter Form erstmals in der Fachzeitschrift „CSR-Magazin“, Ausgabe 02/2017, S. 52-53, welches von der CSR NEWS GmbH herausgegeben wird (www.csr-news.net).